Auftakt zu einer neuen Serie rund um Frauenschicksale zur Kaiserzeit: Die junge Auguste zieht 1892 mit ihrer Familie in eine neu gegründete Villenkolonie im Süden Berlins nach Lichterfilde. Dort soll sie eine höhere Mädchenschule besuchen, die sie auf ihre zukünftige Rolle als Ehefrau vorbereitet. An der Schule lernt sie die ungestüme Unternehmerstochter Lotte kennen – und lieben.
Mein Leseeindruck:
Autorin Anne Stern ist keine Unbekannte,feierte mit der historischen „Fräulein Gold-Buchreihe rund um eine Berliner Hebamme in den 1920er Jahren einen großen Spiegel-Bestseller-Erfolg. Nun steht also erneut eine (vierteilige) Buchreihe, dieses Mal um bewegende Frauenschicksale in der wilhelminischen Ära, an. Als Leser*in erlebt man im Auftaktroman „Auguste“, wie sich eine zunächst sehr brave junge Frau aus „gutem Hause“ durch ihre Freundschaft zu einer aus der Zeit fallenden jungen Frau, aber auch durch ein schon etwas fortschrittlicheres Schulsystem (natürlich damals nur Mädchen aus der gesellschaftlichen Oberschicht zugänglich) beginnt, zunehmend freizuschwimmen. Dazu gehört es in Augustes Fall auch, dass sie sich in den Freigeist Lotte verliebt. Eine Entwicklung, die Auguste erst nach und nach versteht, denn von gleichgeschlechtlicher Liebe war ja damals überhaupt nicht die Rede! Eigentlich wäre Auguste auch fast vermählt worden, doch Ihr Verlobter ist, das ist vielleicht schon fast ein wenig Zufall zuviel, selber homosexuell und löst in beidseitigem Interesse die Verbindung auf.
Doch nicht nur Augustes Leben zwischen 1892 und 1899 dürfen wir in diesem eingängig verfassten Roman verfolgen, auch in das Leben der Unternehmertochter Lotte erhalten wir intensiven Einblick, leider nimmt das für die rebellische junge Frau kein gutes Ende.. Aber mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Manche Aspekte dieses Romans sind vielleicht etwas stark herbeikonstruiert, überspitzt, aber es soll natürlich auch ein gewisses Sittengemälde der Zeit, ein trotz erster gesellschaftlicher Veränderungen sehr herabwürdigender Umgang mit Frauen und ihren persönlichen Lebensvorstellungen, dargestellt werden. Ganz charmant finde ich die Begegnung von Auguste und Lotte mit Otto Lilienthal, der in seinem Berliner Garten Flugübungen unternimmt.
Ansprechender Unterhaltungsroman, der Einblicke in das gesellschaftliche Leben von Frauen Ende des 19. Jahrhunderts gibt. Die weiteren Romane könnten mich interessieren!
(SiN)
rororo
Taschenbuch, 352 Seiten
ISBN 978-3-499-00423-0
€ 12,–
VÖ: 12.04.2022
Verlags-Homepage: https://www.rowohlt.de/verlag/rororo