DJ Ciao, Ciao, Ciao, oder: Tanz den Tod in deutschen Discos

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Ich liebe Musik. Und ich liebe das Wort. Für viele, die mich persönlich kennen, sicherlich kein wirkliches Geheimnis. Songs wie unter anderem  „The Power Of Love“ von Frankie Goes To Hollywood, „The Unforgiven“ von Metallica, „The Seal“ von The Garden Of Delight oder auch die Neuinterpretation von „Wicked Games“ von Ursine Vulpine ft. Annaca (die ich zufällig in einem Arztwartezimmer als Teil eines Autowerbespots (!!) hörte – es war, als träfe mich ein Blitz) rühren mich immer wieder bis ins Mark. Mit in Noten übertragenen Gefühlen und inhaltsvollen Texten kann man sensitive Menschen berühren und, ich bin davon überzeugt, auch Welten bewegen.

Wie sehr es Menschen wie mich dann schmerzt, so etwas Entsetzliches wie „Bella Ciao“ aus dem Radio entgegendudelt zu bekommen, dass sich dann im Sommer sogar in Deutschland als ein Charts-Hit festsetzt, muss ich wohl hoffentlich nicht erst weiter erläutern? Der eine oder die andere von Euch können mir jetzt nicht ganz folgen? Okay, dann hole ich ein wenig aus..

Italienisch-stämmige Personen in meinem Umfeld waren sofort entsetzt, als sie das elektronisch verhunzte Lied hörten und auch ich musste direkt beim ersten Hören angesichts des zugrundeliegenden Marschtakts und einiger Brocken Italienisch, die ich verstehen konnte, die Stirn runzeln. Ich wurde direkt aufgeklärt, „Bella Ciao“ ist ein Lied, das in der Version der italienischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg bekannt wurde. Es entwickelte sich zu einer der Hymnen der antifaschistischen, anarchistischen, kommunistischen und sozialdemokratischen Bewegungen.“ (Zitat: https://de.wikipedia.org/wiki/Bella_ciao).
Kurze, auf Deutsch übersetzte Kostprobe gefällig, was viele von Euch im Sommer fröhlich vor Euch hingesummt haben? „O Partisan, bring mich fort. Denn ich fühle, dass ich bald sterben werde“. Lustig, oder? Da schwingt man das Tanzbein doch wirklich gerne!

Wann sind die Menschen, in diesem Beispiel auch ein gewitzter DJ, dem mal eben ein flottes Remixchen eingefallen ist (und dem klar war, dass die Italohits-freundlichen Deutschen begeistert zu Bella Ciao in Malle am Ballermann mitgröhlen würden), eigentlich so unsensibel geworden, dass sie selbst mit altem musikalischen Kulturgut umgehen, als wäre es Sperrmüll (den viele Zeitgenossen ja auch am liebsten am Waldrand abladen, anstatt ihn i.d.R. kostenlos bei der Mülldeponie abzugeben)? Gerade bei meinen Recherchen zum Song habe ich sogar noch feststellen müssen, dass es eine Oktoberfest 2018-Version des altehrwürdigen Partisanenlieds (das derzeit in Italien wieder als Protest gegen die neue rechtspopulistische Regierung gesungen wird) gibt. Mir wird übel..

Liebe untalentierte Musiker, die sich dann als DJs verdingen, um aus der Kunst anderer Umsatz für sich selbst zu generieren (ich möchte da mal David Guetta ausnehmen, der der gesanglich bis dato etwas in billigen Popsongs untergegangenen Sia mit „Flames“ eine tolle Möglichkeit gegeben hat, nach „Dusk Till Dawn“ im Duett mit einem mittelmäßigen Sänger erneut zu zeigen, was für eine facettenreiche und kraftvolle Stimme sie hat!), ich habe eine große Bitte an Euch: Es gibt auch viele deutschsprachige Klassiker, die mir wirklich am Herz liegen, mit denen ich tragische Geschichten oder auch rührselige Kindheitsmomente verbinde. Von „Lalelu“ von Heinz Rühmann, über das „Wolgalied“ aus der Operette „Der Zarewitsch“ bis hin zu „Lili Marleen“ von Marlene Dietrich – letzteres vermutlich das perfekte Pendant zum originalen „Bella Ciao“.

Bitte wagt es nicht, Euch an diesen Kunstwerken zu vergreifen. Sonst komme ich mit vielen ähnlichen sensiblen Freunden bei Euch vorbei und wir beschallen Euch rund um die Uhr mit „Kain und Abel“ von Das Ich („Und tanze, tanze, tanze, tanz´ den Tanz zum Tod!“), bis ihr Euch freiwillig einen Job sucht, der euren persönlichen Fähigkeiten besser entgegenkommt.  Vielleicht den Sperrmüll aus den Wäldern holen. Amen.
(SiN)

Foto: Sibylle Nix mit Francesca Chiara von der italienischen Gothic Metal Band The LoveCrave auf dem M´Era Luna 2007 – eine bis heute schöne Erinnerung!

Kategorie: NORMal?
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