M.I.GOD.: Interview mit Frontmann Max Chemnitz über die spannende Bandgeschichte

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Liebe Metal-und Rockergemeinde, vor einiger Zeit hatte unser Funkelglanz Musikexperte „metalhead“ (eine Koryphäe der „harten“ Klänge) das Album „Specters On Parade“ von der „Sophisticated Metal“-Band M.I.GOD. rezensiert. Für ihn eines der Top-Alben des noch jungen Jahres 2019 (hier geht es zur Rezension). Im Anschluss hatte metalhead das Vergnügen, den sehr sympathischen und wahnsinnig engagierten Frontmann Max Chemnitz kennenzulernen, der mit ganz viel Herzblut bei der Sache ist und sich trotz vieler Schicksalsschläge nicht von seinem Traum hat abbringen lassen. Bei einem langen Telefonat hat er ihm einen sehr tiefen Einblick in die spannende Bandhistorie gewährt und viele Details zum Konzeptalbum preisgegeben.

Das Interview ist lang, doch es lohnt sich, die Zeit dafür zu investieren! Also los geht’s:

MH:

Kommen wir als erstes auf euren Bandnamen M.I.GOD.. Wie seid ihr darauf gekommen und was soll der Name bewirken bzw. aussagen? Geht es sogar in Richtung Glaubensfragen?

Max:

Hahaha, nein, das ganz sicher nicht! Da muss ich etwas ausholen… wir hatten erst einen anderen Namen, aber wir fanden heraus, dass wir mit der Namensfindung keine Pioniere waren. Daher hatten wir uns zusammengesetzt, um einen neuen Namen zu finden. Irgendwie kamen wir nicht recht weiter. Wir saßen so beieinander, als mein damaliger Kollege auf eine banale Frage antwortete „Hey, bin ich Jesus? Wächst mir Gras aus der Tasche?“ Als ich das hörte, war mir sofort klar, dass es nicht „Jesus“ sondern „God“ lauten muss… ich nahm mir einen Zettel und schrieb den Bandnamen exakt so auf, wie er heute ist: Drei Elemente, mit 3 Punkten und in Großbuchstaben.

Was die Bedeutung betrifft, so sei vorweg gesagt, dass wir uns nicht für Götter halten oder so. Die drei Elemente sind punktiert und stehen für Abkürzungen. Da wir nie verraten haben, für was sie stehen, hat sich ein schönes Mysterium um den Namen entwickelt, was einfach zauberhaft ist. Und, naja, wenn du den Namen dann richtig aussprichst, ergibt sich eben dieses kleine Wortspielchen, das mitunter ein bisschen provokativ anmuten mag, aber das ist gut so, denn dadurch prägt er sich ein.

MH:

Das ist eine interessante Entstehungsgeschichte. Die besten Ideen entstehen eben aus einer Situation heraus, obwohl man sich vorher stundenlang den Kopf zerbrochen hat.

Max:

Da wir ja nicht wieder Gefahr laufen wollten, einen Namen zu wählen, den sich eine andere Band bereits reserviert hat, musste es eben etwas völlig Einzigartiges sein. Und rückblickend wäre es auch ziemlich daneben gewesen, einen „Standard-Namen“ für uns zu picken… sowas Schönes wie „Master Of Pain“ oder „Bloody Horizon“…

MH:

Stereotype Bandnamen bleiben halt auch nicht so hängen.

Max:

Das sowieso nicht, aber viel schlimmer sind die Assoziationen mit solchen Namen, und deswegen sind wir ganz froh, dass unser Name ganz weit davon entfernt ist.

MH:

Nun gibt’s euch eigentlich schon ziemlich lange. Es gab in eurer Geschichte einige Rückschläge, auch personell gesehen. Wer war denn von der aktuellen Besetzung von Anfang an dabei?

Max:

Icke!

MH:

Du alleine???!!

Max:

Ja, nur ich!

MH:

Oh Mann… Tapfer, tapfer durchgehalten! Wie hat sich das Ganze dann entwickelt, von dem letzten Überlebenden bis zur heutigen Formation?

Max:

Wir waren eigentlich zehn Jahre lang ein Quartett. Ganz klassisch mit Gesang, Gitarre, Bass, Schlagzeug. Samples waren aber von Anfang an ein sehr markanter Bestandteil unseres Sounds, die wir seinerzeit von Mini-Disk abschossen. Also für diejenigen, die das Ding nicht kennen, das war sowas wie eine Kassette… hm… Moment mal… jetzt kommt vom Jungvolk die Frage „was ist eine Kassette?“, hahahaha! Nein, Spaß beiseite. Das waren die Anfangsjahre der Band, die auch doch recht erfolgreich waren. Wir haben viele Bandcontests mitgemacht, die meisten sogar gewonnen oder zumindest ein Treppchen erreicht. Wir waren des Öfteren kurz vor dem nächsten Karrieresprung, hatten Angebote von Labels und Produzenten, die uns live gesehen hatten… richtig gut war es zwischen 2004 und 2007.

MH: War das die Zeit, wo ihr mit namenhaften Größen wie Rage, Iced Earth oder Brainstorm gespielt habt?

Max:

Das war noch ein wenig später, zumindest mit den von dir aufgezählten Bands. Wir hatten aber auf einigen Festivals gespielt, wo wir mit bekannten Bands die Bühne geteilt haben, unter anderem mit den Beatsteaks oder Eisbrecher, im Club mit Exilia oder Sinister. Komischerweise haben wir, wenn ich so recht überlege, mit wahnsinnig vielen Death Metal Bands zusammen gespielt. Das hat sich immer so ergeben. War aber immer super cool mit den „Prominenten“. Stilistisch hat man auch nicht die große Wahl als Undergroundband, und wir schon gleich gar nicht. Es gab damals die traditionelle Heavy Metal-/Rock-Szene, und wenn man etwas moderneren Metal gespielt hat, war man eher „schwer vermittelbar“. Es gab nur ganz wenige Bands, die annähernd so etwas spielten wie wir. Selbst als wir 2006 mit unserem Album „Oceans And Waves“ eine eher „rockige“ Phase hatten, war es nicht einfacher.

MH:

Was heißt rockige Phase?

Max:

Wir wollten bei der Scheibe mal andere Wege gehen und haben uns bewusst für ein sehr kompaktes Songwriting mit kürzeren Songs entschieden, die schneller auf den Punkt kommen sollten. Die prägnanten Refrains gab es nach wie vor, und auch war alles mit ordentlich Schmackes gespielt, aber eben ohne den brutalen Metal auszupacken. Es war halt eher Nu Metal beeinflusster, moderner Heavy Rock.

MH:

Ok, aber lass mich noch mal nachhaken… ihr hattet doch eigentlich schon einen guten Weg in Richtung Karriere eingeschlagen. Woran hat es denn nun gehapert? Was hat euch zurückgeworfen?

Max:

Es war wirklich verflixt. Jedes Mal, wenn ein Angebot kam, gab es einen Wackelkandidaten in der Band. Als z.B. das Produzentenangebot gemacht wurde, hatte unser damaliger Drummer bereits angekündigt gehabt, auszusteigen. Er hat quasi nur noch die vereinbarten Verpflichtungen eingehalten. Das waren ein Finale bei einem Bandcontest, den wir sogar gewonnen haben, und ein dickes Festival in NRW, bei dem uns der Typ auch live gesehen hatte. Da hat sich der Drummer schon ein wenig in den Allerwertesten gebissen, aber er wollte ja unbedingt raus und etwas anderes machen. Tja… wir hatten dadurch echt ein Riesenproblem: Geiles Angebot und ne unvollständige, nicht spielfähige Band. Klasse! Die Szene für unsere Art von Musik war wie gesagt sehr überschaubar. Die guten Drummer waren schon in Bands und die anderen guten spielten andere Musik. Wir haben über ein Jahr nach einem neuen Schlagzeuger gesucht. Selbstredend hatte sich damit das Angebot des Produzenten zwischenzeitlich erledigt.

MH:

Verstehe. Nun, es sind danach ja einige weitere Jahre ins Land gegangen, in denen ihr mit „Floor 29“ auch ein weiteres Album veröffentlicht habt. Das ging dann schon wieder deutlich zurück zur Härte und zum Metal…

Max:

Das ist richtig. Das Besetzungskarussell hatte sich bis dahin auch noch einige Male gedreht, sowie auch nach der Veröffentlichung. Wir hatten einfach kein Glück mit Musikern. Jedoch hatten wir unser 10-jähriges Jubiläum zum Zeitpunkt der VÖ, hatten das richtig fett gefeiert, mit Ex-Mitgliedern von M.I.GOD. sowie Gastmusikern von bekannten Bands (SUBWAY TO SALLY und SILVERLANE)… und der Uli, Gitarrist von SILVERLANE, fand so sehr Gefallen an seinem Mitwirken bei uns, dass er als zweiter Gitarrist fest einsteigen wollte. Das war ein Wink des Schicksals, denn erstens hatten wir schon lange mit zwei Gitarren geliebäugelt und zweitens ist Uli nach wie vor in der Band. Wir haben dann sofort die Songs von „Floor 29“ und das restliche Live Set auf zwei Gitarren umgeschrieben und mit den bereits von dir erwähnten Metal-Größen wie RAGE, ICED EARTH etc. gespielt.

MH:

Dann habt ihr euch 2013 zurückgezogen, um ein neues Album aufzunehmen und dann ging es wieder weiter mit den Schicksalsschlägen, oder? Der andere Gitarrist stieg aus, weil er die Gitarre an den Nagel hängen wollte, vom Schlagzeuger musstet ihr euch aus persönlichen Gründen trennen und dann kam ja erst das Tragischste… euer Bassist ist verstorben. Was hat es denn damit auf sich? Kann man überhaupt darüber reden?

Max:

Ja durchaus. Matt war ebenfalls kurz nach unserem 10-jährigen Jubiläum eingestiegen, nachdem er uns dort live gesehen hatte. Das passte ganz gut. Weil wir uns vom bisherigen Bassisten trennen mussten war Matt somit herzlichst willkommen. Er spielte fast sieben Jahre bei M.I.GOD.. Mitten in den Aufnahmen zum neuen Album hat es ihn aus dem Leben gerissen und er war von einem Tag auf den anderen plötzlich nicht mehr da.

MH:

Ach du meine Güte… was war passiert?

Max:

Leider sind die Umstände etwas schwierig, und ich kann und möchte ehrlich gesagt nicht groß darauf eingehen.

MH:

Das kann ich verstehen. Aber es war ein verdammt harter Schlag und hat euch ziemlich aus der Bahn geworfen.

Max:

Extrem! Uli und ich waren zu diesem Zeitpunkt die einzig Verbliebenen. Wir haben uns zwei Wochen lang jeden Tag angerufen und über alles geredet, außer der Zukunft der Band. Das hat sich keiner getraut anzusprechen, um nicht pietätlos zu wirken. 14 Tage später hat Uli mich dann offen drauf angesprochen und gefragt, was wir nun machen sollen. Wir waren uns glücklicherweise sofort einig, dass wir weitermachen und alle Energie sammeln werden, um M.I.GOD. wieder aufzubauen und die Songs, in die wir fast 5 Jahre unseres Lebens gesteckt hatten, rauszubringen. Es wäre zu schade gewesen, wenn sie keiner zu Ohr bekommen hätte. Und wir sind uns sicher, dass es Matt auch so gewollt hätte. Das Album ist ihm auch gewidmet, was man im Booklet sehen kann.

MH:

Das war wohl eine prägende Zeit für euch. Ihr habt es geschafft, innerhalb kürzester Zeit einen neuen Gitarristen und Bassisten zu finden… und euer Drummer Eric hat auch nicht mehr lange auf sich warten lassen, richtig?

Max:

Genau. Wir hatten viele Auditions hinter uns gebracht, aber die Suche gestaltete sich erstaunlich erfolgreich und so stießen dann unser Bassist Mick im Oktober, Gitarrist Dan im Dezember 2017 und Eric im März 2018 zur Band.

MH:

So können wir alle froh sein, dass ihr euch noch mal aufgerafft und diese harte und belastende Phase überstanden habt. Ihr habt das neue Album „Specters On Parade“ geschaffen, ein großartiges Werk, was auch die vielen positiven Kritiken der Pressekollegen bezeugen. Ihr habt euren eigenen Sound verwirklicht. Euch kann man nicht in eine bestimmte Schublade stecken. Wie ist dieser Sound überhaupt entstanden?

Max:

Das ehrt mich, dass du das so siehst. Es gibt aber tatsächlich auch Rezensenten, die sich mit der „unklaren Schublade“ richtig vor den Kopf gestoßen fühlen. Schade, dass es so wichtig zu sein scheint, „wie“ man etwas nennen kann… und doppelt schade, wenn dann aufgrund fehlender Kategorisierung Bewertungspunkte abgezogen werden, und weniger übrig bleiben, als wie wenn wir eindeutig Power Metal oder Thrash Metal spielen würden. Aber glücklicherweise sind das ja nicht die Meisten.

Wir könnten das auch nicht wirklich beeinflussen, ohne uns selbst zu verraten, denn wir versichern ja nicht, „besonders“ zu sein, sondern spielen die Musik, die aus uns herauskommt. Wir hören alle sehr breit gefächert Musik, die uns dann natürlich auch irgendwo inspiriert. Wir haben keinen Setzkasten, in dem die Genre-typischen Elemente platziert werden. Ob es nun elektronische Effekte sind, die wir durch die Pop Musik, die wir gut finden, einfließen lassen, oder Growls vom Death Metal, den wir in den Neunzigern massiv gehört haben… es kommt auf die Komposition an, ein guter Song ist ein guter Song, welche Stilrichtung er auch immer hat. Und so haben auch wir immer unser Songwriting betrieben. Was immer auch den Song in unseren Augen zu einem guten gemacht hat, haben wir eben mit eingebaut.

MH:

Wenn man sich eure Steckbriefe so anschaut, dann fällt auch auf, dass neben den ganzen Metalgrößen der 80er und 90er auch Pop Bands wie beispielsweise Duran Duran eine Rolle spielen. Und nun habt ihr auf dem Album auch eine Coverversion von einem Song einer norwegischen Sängerin namens Margaret Berger, die mit ihrem Lied „I Feed You My Love“ beim Eurovision Song Contest 2013 erfolgreich teilgenommen hat. Wie kam es denn dazu?

Max:

Ich glaube, dass ich der Einzige in der kompletten Band bin, der wirklich sehr spät zum Metal gekommen ist… so mit 17 Jahren, während andere schon früher, vielleicht durch Familie, mit dem Rock infiziert wurden. Das war bei mir überhaupt nicht so. Ich bin mit Michael Jackson, Madonna, Depeche Mode, Duran Duran groß geworden. Das waren meine Pop-Heroen. Die habe ich rauf und runter gehört. Lustigerweise mag ich die immer noch. Viele belächeln ja ihr früheres Ich und rechtfertigen, „na ja, damals… da war ich ja noch jung“. Ich nicht. Wie gesagt, ein guter Song ist ein guter Song, egal aus welcher Stilrichtung. Das habe ich mir behalten. Und deswegen schaue ich mir auch gerne den Eurovision Song Contest an. Oft rege ich mich auch auf, was da für ein Scheiß gespielt wird, aber ab und an sind echte Perlen dabei. Und eine dieser Perlen war „I Feed You My Love“. Ich hatte richtig Gänsehaut, und das ist echt selten bei mir. Ich musste sofort daran denken, diesen Song irgendwann mal zu covern. Dann war er erst mal wieder vergessen. Ganze fünf Jahre später in 2018, war es an der Zeit, aus der fertig eingespielten Scheibe „Specters On Parade“ eine erste Single-Auskopplung zu wählen. Doch die Arbeiten zum Mix zogen sich länger als geplant. Da wir schlecht aus all den ineinander fließenden Tracks eine Nummer heraus picken und die dann separat mischen konnten, musste eine andere Lösung her. Ich sah meine Chance, die langersehnte Coverversion von „Feed You“ anzugreifen, schlug die Nummer meinen Jungs vor, die sofort Feuer und Flamme waren, und wir zogen in zwei Wochenend-Sessions Adaption, Arrangement, Instrumental- und Gesangs-Aufnahmen durch, sodass unser Engineer sofort am nächsten Tag den Mix des Songs machen konnte. Da wir bei den Aufnahmen noch Filmmaterial gesammelt hatten, wurde ein witziges DIY-Video zum Song geschnitten und fertig war das Single-Paket. Das war wohl das mit Abstand ambitionierteste Projekt, das wir jemals gemacht und geschafft haben. Und am Ende haben wir den Song einfach als Bonustrack noch auf unsere CD gepackt.

MH:

Coole Sache! Kommen wir jetzt einmal zum Album und dessen konzeptioneller Geschichte. Du hattest ja vorhin gesagt, dass der Bandname eine Art Mysterium ist. Man soll sich darüber Gedanken machen und für sich interpretieren. Die Story des Albums ist genauso mysteriös. Es geht um die Geschichte eines Mannes, der durch plötzlichen Dauerschwindel aus dem Alltag gerissen, mit Geistern der Vergangenheit konfrontiert und psychisch völlig aus der Bahn geschossen wird. Wie bist Du auf die Idee gekommen?

Max:

Nun, ich muss vorweg schicken, Ich war zwar schon immer ein Fan von Konzeptalben und habe vor allem die textlichen Verstrickungen immer bewundert. Allerdings hätte mir nie vorstellen können, selbst mal ein Konzept zu entwerfen. Es hat sich tatsächlich so ergeben. Als ich die Lyrics schrieb, habe ich erst beim vierten Song gemerkt, dass ich textlich in ein und demselben Kosmos blieb und die Songs langsam aber sicher mehr als nur ein roter Faden durchzieht. Um von einem in sich logischen und stimmigen Konzept sprechen zu können, musste ich gegen Ende des Schreibprozesses noch ein paar Puzzleteile finden, um alles perfekt zu verbinden.

Was die Idee an sich betrifft, so hatte ich die besagten Schwindelanfälle vor ein paar Jahren selbst erlebt. Eine anschließende Ärzte-Odyssee folgte, die rein gar nichts zutage brachte. Es war äußerst verstörend, nicht zu wissen, woher der Schwindel auch noch nach Monaten der Suche herrührte und ein gutes Stück weit meinen Alltag zerstörte. Das Ganze dauerte fast drei Jahre und am Ende fand ein Physiotherapeut heraus, dass alles von extremen Verspannungen herrührte. Ich hatte vor, dieses Mysterium und die psychisch sehr belastende Phase, in der ich im Dunklen tappte, in ein paar Songs zu verarbeiten. Als dann klar war, dass ein Konzept daraus entstehen würde, musste ich meiner Fantasie freien Lauf lassen… ich konnte ja nicht über muskuläre Verspannungen schreiben, haha! Ich dachte mir dann den nicht verarbeiteten Verlust eines geliebten Menschen als Ursache des Schwindels aus und so nahm alles seinen Lauf. Bis auf die Basis ist also alles andere fiktiv… auch wenn im Nachhinein der Verlust unseres Bassisten dem Ganzen noch einen morbiden Realitäts-Stich verpasste!

MH:

Wow, dann war das also ein „Zufallsprodukt“ mit autobiografischen Zügen, wenn auch teilweise ungewollt…

Max:

Sozusagen! Aber ich bin froh, dass aus dem Ungeplanten dennoch ein stimmiger und wendungsreicher Plot geworden ist.

MH:

Durchaus! Die Story bietet viel Raum für Interpretationen.

Max:

Wenn Du das schon so sagst, dann lass uns den Spieß doch mal umdrehen und ich frage Dich etwas: Wie hast Du als Zuhörer denn die ganze Story interpretiert?

MH:

Oh! Das ist eine gute Frage. Ich habe mich tatsächlich schon damit beschäftigt. Mir ist aufgefallen, dass viele lyrische Aspekte sich nicht nur um den Protagonisten der Geschichte drehen, sondern vielmehr universell auf den Menschen im Allgemeinen umzulegen sind.

Max:

Großartig! Freut mich sehr, dass du dich so eingehend damit beschäftigt hast!

MH:

Na klar! Ich denke auch, dass Vieles aus der Vergangenheit des Mannes ja nicht greifbar ist. Das wirft Fragen auf: Wer ist der Mann überhaupt, warum der Schwindel, warum die Albträume… Ich denke, der Mann muss ein aufwühlendes Erlebnis hinter sich haben, welches er nicht richtig verarbeitet hat. Er hat wahrscheinlich versucht es zu verdrängen, was wohl eine Zeit lang geklappt hat, vielleicht auch nach einer Therapie. Nun holen ihn die Geister der Vergangenheit wieder ein und er muss sich ihnen stellen, was ihm aber beileibe nicht leicht fällt.

Max:

Ich kann dir gerne noch ein paar Hinweise geben, wenn du möchtest…

MH:

Na klar, immer her damit.

Max:

Du hast schon richtig erkannt, dass es um etwas Unverarbeitetes geht. So im „Schnelldurchlauf“ geht’s darum, dass die Schwindelanfälle auf dem Weg zur Arbeit das erste Mal auftreten, was ihn aus der Spur haut. Er bekommt so eine ganz komische innere Unruhe, alles wirkt plötzlich irgendwie trist und düster. Er geht dann zu verschiedenen Ärzten und versucht herauszufinden, was mit ihm los ist. Er bekommt keine Antworten. Das zieht sich über Monate hin. Er geht dann sogar in die Kirche (siehe „We All Belong To The Dark“) und sucht dort Hilfe. Stattdessen nimmt er Stimmen wahr, die ihm einreden: „Du bist nun auf der dunklen Seite angekommen, finde dich damit ab.“ Die anfängliche Gegenwehr führt zu Wut, geboren aus der Ohnmacht, nicht zu wissen, was mit ihm geschieht. Angstzustände folgen. Neben dem Schwindel am Tag leidet er unter schrecklichen Albträumen in der Nacht. Und um diesen zu entfliehen, nimmt er Drogen bzw. Aufputschmittel, die er sich in ranzigen Clubs des Großstadtdschungels besorgt („Titans Of The Void“). Der erzwungene Schlafentzug fordert nach 13 Tagen seinen Tribut und er sackt in einer Gasse zusammen und fällt in einen tiefen Schlaf. Nun folgt der Auftritt der sogenannten „Nightmare Entertainment Group“ im vertracktesten Song des Albums, „Atelier Macabre“. Der sehr progressive Song ist wie ein makabrer Jingle zu verstehen, in dem das Handwerk des Albtraum-Baus erklärt wird. Die Frage, die am Ende des Songs gestellt wird, ist besonders creepy und auch wegweisend: Schaffst du es, aus unserer Welt wieder zu entkommen und wenn ja, wirst du wieder aufwachen? Beim Herzstück des Albums, „Specters On Parade“ angekommen, folgt dann der Aufmarsch der Geister der Vergangenheit, die auf seiner gepeinigten Seele eine Parade feiern. Während er sich dem Chaos in seinem Kopf komplett ausgeliefert fühlt, kommt ein Lichtschein ins Dunkel (Interlude I), der ihn womöglich aus der nebulösen Düsternis herausführen kann. „Tears Of Today“ liefert ihm dann die Hintergründe zu seinen Problemen. Mit dem Song, der die Mitte des Albums markiert, wird aufgedeckt, dass der Mann einen geliebten Menschen verloren hat, was er nicht verarbeiten konnte. Er glaubt nun, dass er den Grund seines Zustandes kennt, alles gut wird und er wieder normal arbeiten gehen kann, was er auch probiert. Eines Abends sitzt er vor dem Fernseher und zappt durch die Kanäle. Überall gibt es nur schlechte Nachrichten von Missständen, Kriegen, Attentaten und Umweltkatastrophen. In „Chances“ sagt ihm seine innere Stimme, „raff dich auf! Mach dir mal über andere Dinge Gedanken, außer über dich selbst! Es gibt auf der Welt weitaus schlimmere Probleme als die deinen.“ Aber was soll er machen, wenn er doch schon genug mit sich selbst zu tun hat? Er kann sich kaum selbst retten, wie er soll er dann jemand anderes retten? Das Dilemma der eingeredeten Hilflosigkeit wird mit „Weight Of A Million Souls“ thematisiert. Bei „Bound To A Daydream“ wird ihm nochmal der Verlust schmerzvoll bewusst und wie leicht es wäre, sich mit entsprechenden Drogen der harten Realität zu entziehen. Als er physisch wie psychisch quasi am absoluten Erschöpfungszustand angekommen ist („Interlude II“), muss er sich der alles entscheidenden Frage stellen, ob er den steinigen und kräftezehrenden Weg zurück ins Leben gehen will oder den leichten aber unumkehrbaren Pfad der Verdammnis einschlägt („The Threshold“). Er fasst sich ein Herz und sammelt seine Kräfte, um den positiven Weg zu gehen. Man denkt: Ende gut, alles gut. Doch im Outro des Konzeptes kommt der große Twist, wie in einem filmischen Mystery Thriller. Vielleicht sollten wir aber hier nicht das Ende spoilern. Das ist dann das Sahnehäubchen für alle, die jetzt angefixt sind und sich das Album noch besorgen wollen.

MH:

Einverstanden. Es sei nur so viel gesagt, dass es ein offenes Ende gibt und einige Fragen unbeantwortet bleiben. Das riecht nach einer Fortsetzung. Wird es eine geben und sind schon Ideen vorhanden?

Max:

Ja, es gibt sogar bereits ein „Drehbuch“ für eine Fortsetzung. Wie „Specters On Parade“ wird auch das Sequel wieder wie ein auditiver Film aufgebaut sein, mit Spannungsbögen und unvorhersehbaren Twists. Nur, dass ich es diesmal von vorn herein so plane und anlege.

MH:

Und wie geht es mit dem Mann weiter? Wird es noch düsterer oder geht es tatsächlich wieder bergauf?

Max:

Ich will da nicht zu viel verraten, aber es wird einen sehr düsteren Anfang geben, einen martialischen Mittelteil und ein sehr überraschendes Finale.

MH:

Dann werde ich mich wohl noch ein Weilchen gedulden müssen. Was mich noch interessiert: Dein Gesang ist sehr variabel. In welchem Bereich fühlst du dich denn wohler: mehr im gefühlvollen Gesang oder im brutalen Ausbruch? Wahrscheinlich ist es dir egal und es kommt auf die Stimmung an, nicht wahr?

Max:

Das ist absolut korrekt. Ich vergleiche Musik immer ganz gerne mit Film. Ein Schauspieler muss in bester Laune auch Trauer ausdrücken können, wenn das Drehbuch danach verlangt. Und wenn nun in einem Song Melancholie gefordert ist, sind sanftere Töne angesagt, und bei aggressiven Stellen zählt die Power. Da man ja keine Mimik zum Text sehen kann, muss man den Inhalt halt emotional ausdrücken. Und da Musik meiner Meinung nach nur über Gefühl funktioniert, ist das auch die Herausforderung, die mir sehr viel Spaß macht.

MH:

Wir wollen nicht unterschlagen, dass es bald ein neues Video geben wird. Kannst du uns dazu noch was sagen?

Max:

Ja richtig. Es wird zum Song „Tears Of Today“ ein Live-Action Musik Video geben. Das heißt jetzt nicht, dass da voll die Action abgeht… es ist ein Begriff aus der Filmbranche und bedeutet, dass mit realen Personen eine Story filmisch umgesetzt wird. Nach dem Video zu „I Feed You My Love“, mit Einblicken in die Recordings, und dem Lyric Video zum Album-Opener „The Solitary Ghost“ war es an der Zeit, ein richtiges High Quality Musik Video zu bringen, das auch die Geschichte des Songs erzählt und visuell in das Konzept eintauchen lässt. Man bekommt sogar ein Gesicht zu unserem Protagonisten geliefert, und wir als Band sind auch mal zu sehen.

MH:

Ich bin sehr gespannt darauf! Zum Abschluss noch die Frage, ob es außer dem Video noch konkrete Pläne für die nähere Zukunft gibt?

Max:

Ja, der Plan ist natürlich nach wie vor die Weltherrschaft zu erlangen! 😉

MH:

Super Plan, aber vorher werdet ihr höchstwahrscheinlich versuchen, rumzukommen und euren Bekanntheitsgrad in die Höhe zu schrauben, um genügend Anhänger für euer kühnes Unterfangen zu gewinnen.

Max:

Du sagst es, hahaha! Ganz im Ernst, wir wollen uns erst einmal einen Namen in der Republik und darüber hinaus erspielen. Das ist nicht ganz so einfach für uns, trotz der vielen namenhaften Bands, mit denen wir in der Vergangenheit gespielt haben. Es ist kein Garant dafür, dass du heute noch irgendwo easy unterkommst. Im Endeffekt zählen nur Zahlen! Und bis jetzt sind wir noch weit davon entfernt, in die Charts einzusteigen. Wir tun also unser Bestes, so viel wie möglich rumzukommen, damit wir den Leuten zeigen können, dass wir auch live überzeugen. Aber wir freuen uns auf die Zukunft und bleiben wie immer optimistisch.

MH:

Ich bin sehr zuversichtlich, dass ihr die Leute mit eurer Musik weiter begeistern werdet.

Vielen Dank für das sehr nette und ausführliche Interview.

Max:

Ich habe zu danken! Viele Grüße an eure Leser!
(Interview: metalhead)

Kategorie: Interviews
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